Von Kaan-Marienborn auf Schalke: Noch immer schwer zu fassen

Von Kaan-Marienborn auf Schalke: Noch immer schwer zu fassen

25. Mai 2024 9 Von Carsten Schulte

Eine Woche ist es her, seit der SC Preußen Münster den Aufstieg in die 2. Bundesliga perfekt gemacht hat. Und noch immer ist das Ausmaß dieses Erfolgs schwer zu fassen. Die Preußen spielen im kommenden Jahr gegen Klubs, die eigentlich in jeder Hinsicht Lichtjahre entfernt sind. Und plötzlich ganz real in Augenhöhe.

Gemeinsam haben der SSV Ulm und Preußen Münster eine gänzlich unerwartete Marke gesetzt: den Doppeldurchmarsch.

Vor 13 Monaten kam der SC Preußen beim 1. FC Kaan-Marienborn nicht über ein 3:3 hinaus. Der Klub spielt nach seinem freiwilligen Rückzug mittlerweile in der Kreisliga C. Vor 12 Monaten war dann RW Ahlen der letzte Gegner in der Regionalliga West. Münster verabschiedete sich vor über 12.400 Zuschauern mit einem 3:0-Sieg vom Münsterland-Konkurrenten und auch aus der Regionalliga. Ahlen spielt demnächst gegen Münsters U23 in der Oberliga Westfalen.

Und Münster misst sich plötzlich mit dem FC Schalke, dem 1. FC Köln, mit Hertha BSC und dem HSV. Vielleicht ist es doch ein Riss im Raum-Zeit-Kontinuum? Bisher war die Preußen-Konstante eher das Mittelmaß. Die Hoffnung auf die Rückkehr des Erfolgs, irgendwann, derweil die Realität Dritt- und Viertklassigkeit bereit hielt. Die 2. Bundesliga war der Treppenwitz der jüngeren Klubgeschichte, das unerreichbare Fernziel, für das ein Stadionumbau als notwendige Investition herhalten musste. Hat jemand schon ernsthaft daran geglaubt? Sicher nicht viele.

Und plötzlich kommt die Hoffnung der Realität nicht mehr hinterher. Oder, wie es Geschäftsführer Ole Kittner wohl gerade sagte: „Wir leben einen Traum, den wir noch gar nicht hatten.“

Jubel nach dem Aufstieg.

Wie unwirklich das alles noch immer ist, wird durch nüchterne Zahlen verdeutlicht. Noch nie in der Drittliga-Geschichte hat ein Klub zur Winterpause so weit hinter den Aufstiegsplätzen gelegen wie die Preußen – und stand dann am Ende doch als Aufsteiger dar. Im Jahr 2019 lag der SV Wehen Wiesbaden nach der Hinrunde mal 10 Punkte hinter Platz 3 und stand am Ende der Saison auf genau diesem Relegationsplatz. Und 2020 kletterten die Würzburger Kickers von Platz 12 in der Hinrunde auf Platz 2. Doch Würzburg hatte damals nur sechs Punkte Rückstand.

Und Münster?

Zur Winterpause und nach dem 20. Spieltag lagen die Adler auf Platz 12 und hatten acht Punkte Rückstand auf Platz 3.

18 Punkte auf Platz 2.

20 Punkte auf Platz 1!

Über den Aufstieg wurde im Winter eher in Essen gesprochen. In Ingolstadt, in Sandhausen und Saarbrücken. Ulm galt da nach starker Hinrunde noch immer als Anomalie oder wenigstens Überraschungsteam. Aber vornweg war der Aufstieg für Regensburg und Dresden längst ausgemacht.

Und dann wackelte die Realität. Nur der SCP wackelte nicht. Er erhob sich, wie die Aufstiegsshirts wenige Monate später zeigten. Verstanden hat man das nun, wirklich erfasst wohl nicht.

Aufstieg im Preußenstadion.

Nach fünf Spieltagen lag der SCP auf Platz 18 in der 3. Liga. Und hatte gerade vier Tore geschossen. Am Ende stellten die Preußen den erfolgreichsten Angriff. 68 Tore! Keine Mannschaft traf häufiger. Eine Entwicklung, die vor allem an Malik Batmaz und Joel Grodowski sichtbar wird. Batmaz, 24 Jahre, hat im Seniorenbereich noch nie so stark getroffen. In Karlsruhe war er Einwechselspieler mit überschaubaren Einsatzzeiten und noch überschaubareren (Tor-)Erfolgen. Joel Grodowski traf noch niemals in seiner Karriere so wie jetzt. Fast glaubte man, er könne nur rennen. Hat er jetzt mit konstanten Einsatzzeiten und viel Vertrauen des Trainerteams ein neues Niveau erreicht?

Niko Koulis schraubte sich zu immer stärkeren Leistungen. Das ganze Teams wuchs – auch jene, die von der Bank reinkamen und dann oft einen Unterschied machten. Die Ausgeglichenheit des Kaders, das Wissen darum, jeden bringen zu können, ohne sich zu schwächen, war wichtig. Der Zusammenhalt in der Mannschaft, in der niemand nach außen für Theater sorgte, war vielleicht der entscheidende Faktor. Das gemeinsame Ziel, untermauert mit Teamgeist, bringt den Extraschritt auf dem Platz. Und viele dieser Extraschritte bringen eben viel – Mentalität schlägt Qualität. Das ist das Mantra der Fußballehrer und es wirkt, weil es stimmt. Das war ganz besonders zu spüren nach den beiden bitteren Niederlagen in den Topspielen gegen Regensburg und in Ulm. Nach dem 0:2 in Ulm war der SCP auf Platz 4 gefallen und hatte plötzlich sechs Punkte Rückstand auf Platz 2. Das wäre der Moment gewesen, zusammenzubrechen und vor dem Finale aus dem Rennen zu fallen. War es aber nicht. Stattdessen blieb der gesamte Klub ruhig und warf genau diese Gemeinschaft, diese Mentalität hinein. So schlug der SCP Freiburg, so stellte er in Köln eine irre Partie auf den Kopf, so überrollte er Saarbrücken.

Stärke und Selbstvertrauen in einer Zeit, in der genau das gefragt war. Und kein Scheitern.

Münster stellte nicht eines der individuell besten Teams der Liga. Aber im Gegensatz zu anderen vermeintlichen Top-Klubs brachte es mehr Gemeinschaft auf den Platz. Das wird das Mittel sein, um auch höhere Aufgaben zu bewältigen.

Und man hat das Gefühl, als könnten auch die Fans ihren Teil dazu beitragen. Der Erfolg der vergangenen zwei, drei Jahre hat das Band zwischen Klub/Mannschaft und den Fans stärker werden lassen. Davon muss der SCP in der schwierigen Zweitliga-Saison einfach profitieren. Und hoffentlich werden sich die Fans dieses Gefühl bewahren, falls es mal ein paar Niederlagen in Serie hagelt.

Das Gefühl von „alle zusammen für Preußen Münster“ wird in den kommenden Monate sicher auf die Probe gestellt. Aber es macht eben auch Hoffnung darauf, dass genau das ein Fundament ist, auf das der SCP bauen kann.