Sicherheit, Risikospiele, Fans: So funktioniert das mit den Zuschauerzahlen im Preußenstadion

8. August 2022 3 Von Carsten Schulte

Die Westkurve im Preußenstadion wird in den kommenden Wochen abgerissen. Dadurch verringert sich auch die Stadionkapazität weiter. Welche Rahmenbedingungen gelten und wie sie ermittelt werden, steht hier.

Die Zeiten, in denen Preußenfans auf Baumwipfeln rund ums Stadion die Bundesliga oder Zweitligaspiele verfolgten, sind längst vorbei. Von Kulissen wie einst gegen Schalke, BVB oder auch Osnabrück (knapp 24.000 sahen 1989 das erste Derby seit vielen Jahren) kann der SCP (zumindest teilweise) nur noch träumen. Selbst im Aufstiegsfall ermöglicht das Preußenstadion keine wirklich größeren Zuschauerzahlen – und wird es auch nicht mehr.

Eher beiläufig hatte der SC Preußen Münster vor dem Spiel gegen den 1. FC Bocholt in einem Vorbericht geschrieben, dass die Stadionkapazität nach dem Umbau der Gegengerade und dem laufenden Abriss der Westkurve weiter sinken werde. Künftig sollen nur noch 12.754 Zuschauer an der Hammer Straße erlaubt sein, bei Risikospielen sogar nur 10.154 Zuschauer. Zumindest die letztere Zahl war falsch, wie der Klub nach der Berichterstattung auf 100ProzentMeinSCP erkannte – man hatte dort schlichtweg ein paar Zahlen falsch zusammengerechnet – „nachträglich“ bewilligt, wie es an anderer Stelle hieß, wurde also nichts. Korrekt sind nun 11.994 Zuschauer bei „Rot“-Spielen, also den als besonders risikoreich gewerteten Partien.

Von 28.000 runter

Irgendwann einmal soll das umgebaute Preußenstadion wieder fast 20.000 Zuschauer fassen. Vielleicht ab 2027, auch wenn das derzeit wieder in unklar erscheint. Diese knapp 20.000 Plätze würden in der Stadionrangliste der aktuellen 3. Liga für Platz 7 reichen, in der 2. Bundesliga für Platz 12 (in der Bundesliga wäre der SCP damit deutlich Schlusslicht, aber das nur am Rande). Die Zeiten, in denen 28.000 Zuschauer den FC Schalke sahen (oder noch früher über 34.000 den BVB) sind längst vorbei. Die Kulissen aus dem Aufstiegsspiel gegen Duisburg (21.000) oder Zweitliga-Duellen gegen Bayer Leverkusen (1978/1979 sahen immerhin 25.000 Fans zu) werden in Münster nicht mehr möglich sein.

Veranstaltungsleiter Thomas Hennemann.

Schon nach der ersten Zweitliga-Saison 1989/1990 wurde die Stadionkapazität auf rund 21.000 Fans gesenkt, nach der Sperrung der Westkurve noch einmal auf rund 15.050 Zuschauer. Zuletzt belief sie sich tatsächlich auf offizielle 17.902 Zuschauer. Die Zahl wurde allerdings nie kommuniziert und dürfte auch eher für Verwunderung sorgen. Doch sie lässt sich einfach erklären: Die Zahl 17.902 war das nominelle Fassungsvermögen, akribisch auf den Quadratmeter genau errechnet, wie es Veranstaltungsleiter Thomas Hennemann erklärt. „Aber diese Zahl war rein theoretisch“, schränkt er ein. Sie hätte gegriffen, wenn eine beliebige und risikolose Veranstaltung hätte durchgeführt werden sollen. „Dann wäre das grundsätzlich genehmigungsfähig gewesen.“

Der Fußball gehört aber nicht zu so einer Kategorie. Daher griff eine andere Zahl: 14.200. Das war die aus Sicherheitsgründen real nutzbare Kapazität des Stadions an der Hammer Straße. Dank 100 zusätzlich freigegebener Plätze durften im Saisonfinale 14.300 Fans das Spiel gegen den 1. FC Köln II verfolgen. Damit ist seit wenigen Tagen Schluss – und zwar auch gleich für die kommenden Jahre.

Ausnahmen gab es

Ausnahmen gab es in den vergangenen Jahren nur selten: 2011 durften zum Aufstiegsspiel gegen Gladbach rund 18.500 Fans ins Stadion, zum DFB-Pokal-Spiel gegen Werder Bremen im Sommer 2012 noch rund 18.000 Fans, 2014 gegen Bayern München nur noch rund 16.800. Seitdem gab es kein Spiel mehr mit Kulissen über 15.000 Fans hinaus.

Nach dem Umbau von Block K fasst das Stadion theoretisch noch 14.163 Zuschauer, hinein dürfen aber maximal 12.794 und bei Risikospielen exakt 11.994. So will es das angepasste und aktuelle Sicherheitskonzept, das Thomas Hennemann federführend für den Veranstalter SCP erstellt hat. Hennemann: „Jegliche Änderungen/Eingaben werden im Vorfeld mit unseren Sicherheitspartnern erörtert und erst nach einvernehmlichen Beschlüssen in das Sicherheitskonzept übernommen. Alle Inhalte des Sicherheitskonzeptes müssen am Ende durch unsere Sicherheitspartner Feuerwehr, Polizei und Ordnungsamt/Bauordnungsamt mitgezeichnet werden. Die Koordination und Aufsicht über diese Vorgänge hat das Ordnungsamt der Stadt Münster inne.“

Laut Sicherheitskonzept stehen nach dem Umbau der Gegengerade so viele Plätze zur Verfügung:

BlockGesamtGrün-/GelbspieleRotspiele
Tribüne A-F2.8732.8732.873
Block K (Heim)760760760*
Block K (Gäste)680680680
L (Gegengerade)2.9352.8002.800
M (Ostkurve)2.5872.4002.000
N (Ostkurve)3.2762.3811.981
O (Ostkurve)1.052900900
Gesamt14.16312.79411.994
* Bei Rotspielen soll der Heimbereich von Block K grundsätzlich gesperrt werden – hier müsste das Fassungsvermögen dann eigentlich bei 0 stehen.

Durch den Wegfall der Westkurve gingen 2.000 Stehplätze verloren. Block K auf der Gegengerade, der bisher 1.646 Zuschauer fasste, wurde um 206 Stehplätze verkleinert. Dieser Zustand bleibt nun bis zum Bau der neuen Westkurve grundsätzlich unverändert. Frühestens im Frühjahr 2025 soll – so der Plan – damit begonnen werden.

Probleme mit neuem Block K

Allerdings deuten sich Probleme im Block K schon nach dem ersten Spiel an. Für die meisten Ligaspiele wird der Gästebereich mehr als ausreichend sein. Wenn Zweitvertretungen anreisen oder Klubs mit wenig bis keinen Gästefans, wird alles reibungslos funktionieren.

Aber schon im Spiel gegen Bocholt wurden erste Schwierigkeiten erkannt, die allerdings nicht überraschend auftraten – sie waren als Teil der „Erprobungsphase“ durchaus erwartet oder für möglich gehalten worden. Bocholt hatte eine kleine Gruppe von Fans mitgebracht, die während der Partie durch eher unappetitliche Äußerungen auffielen – was sofort Ärger mit den benachbarten Preußenfans gab, wo sich wiederum auch einige der alteingesessenen Preußen mit „schlagkräftiger“ Vorgeschichte eingefunden hatten. Weil Heim- und Gästebereich nur durch einen Zaun getrennt sind, gab es direkt Scharmützel.

Nun überlegt Hennemann, ob der Zaun durch zusätzliche Ordner und Flatterbänder als lockeres Trennungsmittel zumindest optisch „unterstützt“ werden kann. Das Problem wird seiner Einschätzung nach bestehen bleiben, so lange der Zaun auch transparent ist und sich Heim- und Gästefans praktisch Auge in Auge gegenüberstehen können. Das „Ideal“ wäre ein blickdichter Zaun und eine kleine Pufferzone dazwischen – so wie bisher auch zwischen Gegengeraden und altem Gästeblock.

Die jetzt gewählte „weiche“ Sektorentrennung wurde bewusst gewählt, um möglichst viele Fans unterbringen zu können. In Rot- bzw. C-Spielen steht die Regelung aber unter einem Vorbehalt der Polizei.

Blocksperre bei Risikospielen

Das bedeutet: Bei Risikospielen in der Regionalliga, zu denen nach aktuellem Stand Oberhausen, Aachen und ggf. Wuppertal zählen, wird der Heimbereich in Block K gesperrt und dient als „Pufferbereich“ bis zum Marathontor. Sollte dem SCP der Aufstieg in die 3. Liga gelingen, könnte das allerdings noch häufiger der Fall sein, sofern Klubs wie Duisburg, Essen, Dresden oder Osnabrück in der Liga bleiben.

Hennemann betont, dass „sämtliche mit dem Umbau des Block K getroffenen baulichen Entscheidungen und allen damit in Verbindung stehenden sicherheitsrelevanten Maßnahmen im Einvernehmen mit unseren Sicherheitspartnern getroffen wurden. Darüber hinaus war es Voraussetzung, dass alle sicherheitstechnischen baulichen Ausführungen und die damit verbundenen Anforderungen aller Sicherheitspartner in unserem Sicherheitskonzept verankert wurden. Erst nach Mitzeichnung unserer Sicherheitspartner zu den getroffenen Entscheidungen zu Block K im Sicherheitskonzept konnte die Baumaßnahme unter der Leitung des Planungsstabes der Stadt Münster realisiert werden.“

Konkret: Die jetzt gültigen Regelungen wurden durch Thomas Hennemann als Veranstaltungsleiter sowie dem Sicherheitsbeauftragten, dem Ordnungsdienstleister, Spieltags-Organisatorin, Polizei, Feuerwehr, Stadt Münster und auch dem Westdeutschen Fußball-Verband definiert. Dabei stand durchaus im Raum, die gesamte Gegengerade dem Gästebereich zuzuschlagen, was dank einer Ausnahmegenehmigung nun vermieden werden konnte. Eigentlich sieht der Westdeutsche Fußballverband vor, dass mindestens 800 Karten für Gäste vorgehalten werden sollen, aber Realität ist ja, dass eher der SCP-Anhang den zusätzlichen Platz benötigt als dass ein Gastverein derart viele Fans mitbringt.

So werden Risikospiele ermittelt
Vor Saisonbeginn fand eine Saison-Sicherheitsbesprechung unter Leitung von Thomas Hennemann statt, bei der alle Sicherheitspartner beteiligt sind. Innerhalb dieser Besprechung fand eine vorläufige Kategorisierung aller in der Liga spielenden Vereine statt. Zuständig für die Einstufung der Vereine ist die jeweilige Polizeidienststelle, welche in enger Abstimmung mit der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) der Polizei bereits vor der jeweiligen Saison die Einstufungen der Fußballspiele durchführt. Als Grundlage der Kategorisierungen dienen insbesondere aktuelle polizeiliche Aufklärungsergebnisse, sowie Erkenntnisse zu Vorkommnissen aus Begegnungen der zurückliegenden Spielzeiten und zum Fanverhältnis. Vor dem jeweiligen Spiel erfolgt dann erneut eine konkrete Abstimmung zwischen der Polizei und dem Veranstaltungsleiter, um nach Beurteilung aktueller Erkenntnisse eine abschließende, einvernehmliche Kategorisierung des anstehenden Spiels vorzunehmen. 
Als allgemeine Kriterien werden u.a. angelegt: Mobilisierungsgrad innerhalb „problematischer“ Fangruppen und das Verhältnis der Fangruppen verschiedener Vereine untereinander. Jede Partie wird auf Grundlage dieser Bewertungen individuell betrachtet und eingestuft, wobei die Einschätzungen der jeweiligen Fanbeauftragten und Sicherheitsbeauftragten einbezogen werden.

Die Polizei im Stadion

Noch ein Thema: Aufmerksame Beobachter werden bemerkt haben, dass die Polizei in letzter Zeit innerhalb des Stadions kaum noch auftritt. Das ist bewusst so gehalten, wie Hennemann erklärt. Anlass ist eine NRW-Regelung, nach der die Polizei nur dann eingreift, wenn Gefahr im Verzug ist. Heißt: Wenn sich auf den Rängen größere Gruppen Fans ins Gehege kommen. Zuletzt beispielsweise beim unseligen Gastspiel von RW Essen im vergangenen Jahr, als RWE-Anhänger die Gegengerade stürmten. In solchen Fällen hat der Polizeiführer die Befugnis, ohne weitere Rücksprache einzugreifen – dazu ist dann keine Abstimmung mehr mit dem Veranstaltungsleiter oder dem SCP notwendig.

In allen anderen Fällen entscheidet der Veranstalter darüber, welche Maßnahmen angezeigt sind. Erinnerungen werden wach an einen Polizeieinsatz im Heimspiel gegen Wuppertal im vergangenen Jahr. Nach dem Heimspiel gegen Essen positionierte sich die Polizei sehr deutlich sichtbar vor der Fiffi-Gerritzen-Kurve (und wollte das auch oberhalb des Blocks tun). Eine Ausnahme, wie Hennemann betont. Ein zu energischer Einsatzleiter, dessen Maßnahme dann nur für noch mehr Unruhe sorgt. Dass ganze Hundertschaften in einen Block marschieren, um einen Zuschauer dingfest zu machen, ist heute eigentlich nicht mehr gewollt.

Dass die Polizei bei Heimspielen des SCP eigentlich gar nicht mehr zu sehen ist, ist dagegen durchaus erwünscht. Ausnahme: Gelegentlich werfen Beamte vom Marathontor aus persönlichem Interesse ein Blick aufs Spiel. Man versuche das in Maßen zu halten, so Hennemann, denn ein ganzer Block gepanzerter Polizisten wirke eben doch eher martialisch – dabei liege zumindest in diesem speziellen Fall gar kein Einsatz-Gedanken zugrunde. Nur das Interesse am Spiel.