Schiri Patrick Holz pfeift in Essen, aber nicht im Preußenstadion: „Wenn freundlich nicht zieht, gibt’s auch mal einen Spruch“

Schiri Patrick Holz pfeift in Essen, aber nicht im Preußenstadion: „Wenn freundlich nicht zieht, gibt’s auch mal einen Spruch“

7. Februar 2022 2 Von Carsten Schulte

Es gehört zu den kleinen Besonderheiten des Fußballs, dass manche direkte Nachbarn einander niemals sehen werden. Patrick Holz gehört zu dieser Kategorie. Der 26 Jahre alte Schiedsrichter kommt aus Münster und pfeift seit 2018 in der Regionalliga West. Und das bedeutet: Im Preußenstadion wird man Holz so schnell nicht sehen. Im Interview mit 100ProzentMeinSCP spricht er darüber, über seinen Job, die Herausforderungen und die schönen Seiten seiner Arbeit.

Artikelfoto: Patrick Holz (Foto: privat)

Am Samstag war Holz zum erst zweiten Mal im Einsatz, pfiff das 3:0 von RW Oberhausen bei Borussia Mönchengladbach II. Zuvor bekam er die Leitung des Spitzenspiels zwischen Essen und Wuppertal. Hauptberuflich ist der 26-Jährige Polizeikommissar bei der Kreispolizeibehörde Steinfurt im Einsatz, die Arbeit als Schiri ist Leidenschaft und Hobby zugleich, wie er im Interview verrät.

Patrick Holz, Du bist in dieser Saison gerade erst wieder im Einsatz, aber dein erster Einsatz vor zwei Wochen war direkt ziemlich prominent. Du hast das Spitzenspiel zwischen Essen und Wuppertal (2:1) gepfiffen. Wie kam das denn?
Ich war in der Hinserie lange verletzt. Erst fiel ich mit einem Muskelfaserriss aus, dann hatte ich Probleme mit der Wade, dann kam eine Corona-Infektion dazu, also ich habe alles mitgenommen … Ende 2021 habe ich die Zeit zum Aufbautraining genutzt, war wieder fit. Als dann die Anfrage kam, ob ich wieder pfeifen kann, war ich bereit. Und sofort gab es das Spiel in Essen, das war für mich auch eine Form der Anerkennung, gerade nach der Verletzungszeit.

Ein Schiedsrichter aus Münster beim Spitzenspiel der Konkurrenz? Gab es da Bedenken?
Mir ist nichts zu Ohren gekommen. Während des Spiels und anschließend gab es keine Beschwerden, beide Teams waren am Ende zufrieden, trotz acht Gelber Karten war es insgesamt ein sehr faires Spiel. Was die Bedenken betrifft: Für uns Schiedsrichter hängt viel von unserer Leistung ab, da macht es keinen Unterschied, ob wir in Straelen, Wegberg oder Essen pfeifen. Die Leistungsdichte in der Regionalliga ist enorm groß, da können schlechte Leistungen schnell mal eine Saison beenden. Aus Schiedsrichter-Sicht ist also die formale Brisanz einer Partie eher unwichtig. In jedem Spiel kann etwas passieren.

Im Preußenstadion wird man dich trotzdem vorerst nicht sehen..?
Das ist richtig. Ich habe hier einen regionalen Bezug, dann pfeift man da nicht. Dabei geht es auch um den Schutz für uns Schiedsrichter. Bei strittigen Szenen stünde man sofort in der Kritik, selbst ohne irgendeinen persönlichen Bezug zu einem Klub. Wie gesagt: Es geht für uns auch um viel, weshalb ein souveränes und neutrales Auftreten beiden Mannschaften gegenüber wichtig ist.

Du kannst aber selbst Einfluss auf deine Ansetzung nehmen?
Grundsätzlich in gewissen Punkten schon. Wir können im dfb.net Sperrvermerke eintragen, zum Beispiel bei Terminüberschneidungen oder wenn man persönliche Beziehungen (wie z.B. Wohnort) zu einem Klub hat. Das ginge übrigens auch, wenn man einen Verein, mit dem es zuletzt Konflikte gab, eine Zeit lang nicht mehr pfeifen möchte. Dafür gibt es ja genug andere Schiedsrichter und letztlich ist die Arbeit als Schiri für mich auch ein Hobby, bei dem man bewussten und vorprogrammierten Konflikten auch aus dem Weg gehen kann.

Wo kommst du denn zum Einsatz?
In der Regionalliga bleibt man in der Regel innerhalb der Staffel-Grenzen. Als Assistent von Florian Exner bin ich aber mittlerweile deutschlandweit in der 3. Liga unterwegs. Da waren wir von Köln bis Magdeburg oder München bis Zwickau schon überall.

Patrick Holz, Jahrgang 1995, pfeift seit 2018 in der Regionalliga und ist als Assistent von Florian Exner mittlerweile auch in der 3. Liga an der Seite unterwegs). In der Regionalliga kommt er bisher auf 33 Spiele, dazu kommen zahlreiche Partien in der Oberliga und Westfalenliga. Er pfeift für den BSV Roxel.

Der Einstieg in die Schiedsrichter-Laufbahn ist ja eher niedrigschwellig. Wie sieht denn so eine Karriere als Schiri aus?
Also es braucht eigentlich zum Start nur den Schiri-Lehrgang. Nach wenigen Wochen ist der absolviert und damit verfügt man grundsätzlich über die Qualifikation, um alle Ligen zu pfeifen. Natürlich startet man aber erstmal an der Basis in der Kreisliga. Dort gibt es die Möglichkeit von einem externen angesetzten Schiedsrichter-Beobachter bewertet zu werden. Nach jeder Saison erfolgt eine Auswertung der Beobachtungen und man kann in die nächsthöhere Liga aufsteigen. Die Faustregel ist im Idealfall: Eine Liga pro Jahr. Nach oben hin wird die Luft dann etwas dünner … Dafür sind wir in der Szene super vernetzt, da entstehen viele Bekanntschaften und Freundschaften, wir reden und tauschen uns aus. Sich dort so etabliert zu haben, das ist schon eine schöne Sache.

Dein erster Einsatz in der Regionalliga war 2018 beim Spiel Düsseldorf II gegen Lippstadt. Ein 0:0 …
Ja, daran erinnere ich mich natürlich. In solchen Spielen kommt man gut rein, da achten die Ansetzer natürlich darauf, Neulinge nicht direkt nach Essen, Münster oder Aachen zu schicken. Ich kann mich auch noch an mein allererstes Spiel erinnern, das war ein D-Jugend-Duell zwischen Preußen Münster und Münster 08 …

Ich bin eher der Typ, der vieles kommunikativ löst.

Was für ein Typ bist du auf dem Feld?
Ich bin eher der Typ, der vieles kommunikativ löst. In der Regionalliga ist man zwar auf der Schwelle in Richtung Profifußball, aber es ist eben auch ein Hobby, an dem ich nicht den Spaß verlieren möchte. Also möchte ich nahbar sein, den Spielern sagen, was ich erwarte, aber auch Fehler eingestehen. Ich verstehe mich da nicht als allwissender und fehlerloser Sportler auf dem Platz. Auf der anderen Seite, klar: Wenn freundlich nicht zieht, dann gibt es auch mal einen Spruch. Und je höher die Liga ist, desto rauer wird der Ton, da gibt es schon einen gewissen Trash-Talk zwischen Spielern, bei dem du in der Kreisliga schlucken würdest.

Bist du auf dem Platz per Du mit den Spielern?
Ich duze grundsätzlich, will aber auch geduzt werden. „Herr Schiedsrichter“ finde ich schrecklich … Und mit der Zeit lernt man doch die Spieler auch kennen. Ich bin für einen durchaus lockeren aber respektvollen Umgang, solange alles im Rahmen bleibt.

Lass uns mal über zwei Dinge reden, die man immer wieder hört, vor allem von Kommentatoren, aber auch Fans. Fingerspitzengefühl …
Tja, das ist menschlich nachvollziehbar. Aber wie ich ja sagte: Fehlentscheidungen können eine Saison für mich beenden. Natürlich ist es ärgerlich, beim Stand von 0:4 auch noch eine Notbremse zu pfeifen und Rot zu geben. Da denke ich auch, Mensch, lass es, dann fällt eben das 0:5. Aber wenn ich die Karte nicht gebe, verliere ich Punkte in meiner Bewertung. Letztendlich setzen wir nur die Regeln durch und sind nicht befugt diese zu beugen. Und wenn ich so etwas nicht pfeife, ist es auch nicht fair den anderen Mannschaften gegenüber, die am nächsten Spieltag auf das Team treffen. Und letztlich setzt der fehlbare Spieler die Ursache, welche wir als Schiedsrichter dann eben sanktionieren müssen

Die Konzessionsentscheidung …
Es ist das gleiche Problem wie oben bereits beschrieben. Wenn ich in einer zweifelhaften oder strittigen Szene eine falsche Entscheidung getroffen habe, wird es nicht besser für mich, wenn ich dann noch eine zweite zweifelhafte Entscheidung hinterherlege, um dort einen Ausgleich zu schaffen… Wir pfeifen, was wir sehen. Wenn ein Spieler einen Fehler macht, hat er im Zweifelsfall noch zehn Mitspieler, die den Fehler ausbügeln können. Als Schiri kann ich das nicht. Und wir sind Menschen, wir machen Fehler.

Wie fühlt sich das an, in der letzten Minute eine Szene zu pfeifen, die Folgen hat? Hast du das auch schon erlebt?
Ich habe tatsächlich in der Bezirksliga mal so etwas erlebt. Ich habe ein Spitzenspiel in Kemminghausen gepfiffen, es stand 1:1. Dann gibt es ein Foulspiel und ich pfeife – aber da kommt der Ball schon in die Mitte und ein Tor fällt. Aber ich hatte eben schon gepfiffen, das Tor zählt also nicht. Das ist ein Moment, in dem du denkst „das brauche ich jetzt echt nicht“…

Zeit, um panisch zu werden, oder?
Du darfst dich als Schiedsrichter nicht überraschen lassen, auch wenn es 89 Minuten lang harmlos und ruhig war. Die Prozesse im Spiel sind vielschichtig, da musst du über 90, 95 Minuten hochkonzentriert sein.

Gibt es im Spiel bestimmte Hinweise, dass eine Partie aus den Fugen gerät? Erkennst du das als Schiedsrichter?
Es gibt in unserer Bewertung tatsächlich den Punkt „Spielverständnis“, der genau das beurteilt. Man muss merken, wie sich ein Spiel entwickelt. Das spürst du durchaus auf dem Platz. Wenn Spieler beginnen zu diskutieren und sich nicht nach ein paar Minuten wieder beruhigt haben. Wenn plötzlich dauerhaft kommentiert wird, auch zwischen den Spielern. Dann wird es hitziger und dann musst du die „kurze Leine“ herausholen, damit alle mal durchatmen können.

Gerade strittige Szenen sorgen ja oft dafür, dass es hitziger wird. Gibt es Regeln, die besonders schnell für Probleme sorgen?
Also persönliche Strafen, Abseits oder die Regelung bezüglich der Notbremse sind relativ schnell zu verstehen. Handspiel ist aber schwierig, auch für uns Schiedsrichter. Die Handspielregel ist komplex und sie wird immer wieder modifiziert. „Ball an der Hand“ reicht längst nicht mehr. In diesem Jahr sprechen wir zum Beispiel viel über Absicht: Wo ist der Arm? Ist er in natürlicher Position? Abgespreizt oder am Körper? Ist der Arm angespannt oder hängt er locker? Biegt er sich beim Kontakt? Es gibt hier so viele Parameter, die wir im Spiel und in der Situation bewerten müssen. Das geht nur, indem wir solche Situationen mit sogenannten DFB-Referenzszenen immer wieder prüfen und mit der konkreten Szene vergleichen. Es ist ein Prozess, der mit Erfahrung leichter wird. Aber so geht es letztlich mit jedem Foulspiel auch.

Macht es dann einen Unterschied, ob noch zusätzlich Einfluss von draußen kommt? Von Trainern oder vom Publikum?
Grundsätzlich glaube ich, dass für jeden Schiedsrichter ein volles Stadion schöner ist. Daran haben wir auch Freude, es ist angenehmer. Was da von außen kommt, nimmst du im Spiel aber nur noch ganz nebenher wahr. Natürlich hört man die Reaktionen, aber es macht in der Arbeit keinen großen Unterschied.

Aber du weißt vor dem Spiel schon, was dich erwartet, oder?
Es gehört zu meiner Vorbereitung, dass ich weiß, wer Trainer ist, wo die beiden Teams in der Tabelle stehen. Oder wer die Führungsspieler sind, mit denen man im Zweifelsfall mal das Gespräch suchen kann. Wir wissen in der Regel, wie die Trainer arbeiten oder wo der Sportliche Leiter schon mal etwas sagt. Aber meine persönliche Devise ist: Das Wichtige passiert auf dem Platz, nicht daneben. Auf dem Spiel sollte das Hauptaugenmerk liegen. Und wenn ich merke, dass es zu viel wird, kann ich noch ein kurzes Gespräch suchen. Ich möchte, so lange es geht, Dinge kommunikativ lösen, da bin ich nicht konfrontativ oder gieße Öl ins Feuer.

Sicher wird man mal angebrüllt oder es fallen ein paar harte Worte. Aber es gibt eben auch positives Feedback.

Trotzdem: Wenn man sich das Geschrei manchmal anhört, fragt man sich schon, warum sich Schiris das antun. Wie war es bei dir?
Ich selbst könnte jetzt das Vorurteil bestätigen und sagen, dass meine fußballerischen Qualitäten sich in Grenzen hielten. Aber ich fand die Aufgabe einfach spannend und bin dabei geblieben. Sicher wird man mal angebrüllt oder es fallen ein paar harte Worte. Aber es gibt eben auch positives Feedback. Nach dem Spiel musst du dir die Hand geben können und ordentlich auseinander gehen. Ich verstehe mich in dieser Hinsicht als Teil des Spiels. Und ohne Schiedsrichter geht es eben nicht.

Gab’s denn mal Momente, in denen du etwas deutlicher geworden bist?
Ich habe mal ein Bezirksligaspiel gepfiffen, da hat mich ein Zuschauer permanent beleidigt. Normalerweise tut man das nicht, aber da habe ich tatsächlich mal den Dialog gesucht. Ich hab dem Zuschauer gesagt, dass Leute wie er der Grund dafür sind, dass junge Schiris sich sonntags nicht mehr hinstellen und sich anpöbeln lassen. Da gab es von anderen Zuschauern auch Applaus. Vielen ist nicht bewusst, was sie mit Beleidigungen anrichten können. Im Profifußball geht’s um Geld, aber im unterklassigen Fußball darf das einfach nicht so hochkochen. Da wird der eine oder andere junge Schiedsrichter schon abgeschreckt und fehlt dann.

Ist denn der Schiri-Job für den Nachwuchs noch interessant?
Ich glaube schon. Wir haben attraktive Angebote für Schiris. Mit der Grundausbildung kommst du kostenlos in alle Stadien zwischen Bundesliga und Kreisliga, das ist ein kleiner Anreiz. Außerdem ist es für junge Leute auch ein netter Zusatzverdienst. Da bekommst du 10, 20 Euro pro Spiel, so kommt als Jugendlicher auch etwas zusammen. Es ist aber gut, wenn die Vereine mitmachen und zum Beispiel die Erstausstattung zur Verfügung zu stellen. Also man versucht schon viel, um den Nachwuchs bei Laune zu halten.

Sind Berufs-Schiris denn eine Lösung?
Ich weiß, das wird viel diskutiert. Aber ab der 3. Liga aufwärts kannst du ohnehin nicht mehr Vollzeit arbeiten. Wenn du am Samstag um 14 Uhr in München pfeifst, reist du freitags an und fährst vielleicht am Sonntag zurück. Oder Wochenspieltage: Da bist du von dienstags bis donnerstags unterwegs, das sind drei Tage. Das geht nicht mit einer Vollzeitstelle. Es ist kein Zufall, dass die meisten Schiris aus Berufen kommen, in denen das machbar ist. Beamte, Selbstständige.
Ich bin Polizist, da kann ich meine Dienste meist frei planen, muss aber dennoch auf meine Stunden kommen. Wo andere Leute ihre Freizeit zuhause verbringen, bin ich eben auf den Sportplätzen der Nation unterwegs.
Also: Es wird dann am Ende kaum einen Unterschied machen, ob da Vollzeit-Schiedsrichter unterwegs sind. Der Aufwand ist heute schon enorm. Übrigens wird ja auch der persönliche Aufwand noch immer unterschätzt. Du bist allein für deine Fitness zuständig, musst selbst und eigenständig trainieren. Das ist schon ein extremer Aufwand.

Jetzt hast du es bis in die Regionalliga geschafft. Wo soll es für Patrick Holz noch hingehen?
Ich würde lügen, wenn ich sagte, ich möchte nicht weiter hoch. Wenn es sich ergibt, würde ich den Sprung in die nächste Liga nicht ablehnen. Jeder pfeift doch mit einem bestimmten Ehrgeiz. Aber ich sagte ja schon: Die Leistungsdichte ist enorm hoch. Und ich kann nur aufsteigen, wenn jemand aus dem Westen aus der 3. Liga in die 2. Bundesliga hoch rückt. Oder jemand anders aus der 3. Liga zurückgezogen wird. Es spielen also viele Faktoren hinein. Aber ich würde es gerne machen.