Kolumne #6: Auch in meinem Wohnzimmer

Kolumne #6: Auch in meinem Wohnzimmer

19. Februar 2020 0 Von Martin Stadelmann

In der sechste Ausgabe der Kolumne „!00% Preußen“ schreibt Martin Stadelmann heute über ein besonderes Flutlichtspiel und einen jungen Mann, dem etwas völlig Irrsinniges widerfahren ist.

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Natürlich muss ich mich heute auch des rassistischen Vorfalls von Freitag Abend annehmen. Ich habe da lange überlegt, ob ich jetzt auch noch einmal das Thema aufgreifen sollte, aber habe mich dazu entschieden, denn es ist zu wichtig. Es ist also passiert. Mal wieder. Nur dieses Mal geschah es in meinem Wohnzimmer. Ein Wahnsinn, den ich mir einfach nie vorstellen wollte. Natürlich bildet das Publikum immer ein Abbild der Gesellschaft, von daher werden sich im Stadion immer wieder auch unsympathische Gestalten finden. Gab es im Sommer den Vorfall in der Kurve, als ein Mann offen ein Tattoo einer schwarzen Sonne zeigte und von den dortigen Fans aus dem Stadion komplimentiert und dem Sicherheitsdienst übergeben wurde, folgte nun dieser für alle sichtbare Vorfall. Und wie es beim WDR so richtig hieß, bedeuten die beiden Vorfälle von Schalke (Hertha, Paderborn) und dieser hier in Münster, dass das verquere Denken, anders als es gerne in Vorurteilen geschürt wird, eben nicht (nur) ein Problem der Stehplätze ist. 

Der rassistische Ausfall vom Freitag hat deutschlandweite Beachtung gefunden, in den Blickpunkt rückte schnell die Reaktion des Publikums. Der Täter wurde bereitwillig ausgeliefert. Und noch ehe Kerni das für solche Fälle vorbereitete offizielle Statement verlas, hatten die Zuschauer mindestens im Block A/B auch begriffen, dass es einen erheblichen Angriff auf die Menschenwürde gab. Und so wurde von dort rasch laut und anhaltend „Nazis raus!“ skandiert. Dieser Versuch des Publikums, dem betroffenem Spieler beizustehen und den Täter zu isolieren, rückte schließlich immer mehr in den Blickpunkt der Berichterstattung. Auch im Ausland wurde das Verhalten des Publikums wohlwollend zur Kenntnis genommen. So berichtete der anerkannte Journalist Muhammad Lila über Vorfall und Reaktion, über den Schauspieler Patton Oswalt wird es auf dem Wege der sozialen Medien verbreitet. Die CNN hat es aufgegriffen, reddit, überall. Präsident Christoph Strässer vermochte in der Krisensituation durch kluge Worte zu überzeugen. Wir können froh sein, dass wir dort eine sehr glaubwürdige Person ans Mikrofon schicken konnten. 

Für mich bedeutet das nur wenig Aufmunterung. Denn zentraler als die lobende öffentliche Wahrnehmung ist für mich die Frage, was Leroy Kwadwo angetan wurde. Wie muss es einem Menschen ergehen, der in seinem Heimatland rassistisch angegangen wird, dessen Wert als Mensch anderen offenbar nichts bedeutet? Kann ein 23jähriger das wirklich so gut verkraften, dass da bei ihm nichts hängen bleibt? Meine persönliche Anmerkung: Man sieht sich immer zweimal im Leben. Leroy Kwadwo ist ein junger Fußballspieler aus NRW, eventuell erleben wir ihn in der Zukunft einmal im Trikot des SCP? Der Fußball kann manchmal ungewöhnliche Wege gehen. 

Versteht mich nicht falsch. Pöbeleien sind sicherlich ein Teil des Fußballs. Tausende angespannte Menschen auf engem Raum, Frustration. Klar, da wird auch mal gepöbelt – auf und vor allem neben dem Platz. Schiedsrichter bei kniffligen Entscheidungen, Gegenspieler für unschöne Aktionen bekommen manche unschöne Dinge auf die Ohren. Gehört sich nicht und gehört doch irgendwie dazu, muss auch nicht jedem gefallen. Und kaum jemand wird sich davon freisprechen können. Aber das ist normalerweise kein Rassismus und auch nicht mit dem gleichzusetzen. Das war am Freitag eine komplett andere Dimension der Schande. 

Zum Sport. Ein torloses Remis gegen die Würzburger Kickers lassen die Preußen weiterhin tabellarisch auf der Stelle treten. Unter Sascha Hildmann sehen wir allerdings weiterhin eine positive Entwicklung. Er hat es geschafft, den freien Fall aufzuhalten und der Mannschaft Stabilität gegeben. Die Staffelung ist gerade in der Defensive deutlich verbessert, es kommt kaum noch zu 1:1-Duellen oder gar Unterzahl-Situationen im und um den eigenen Strafraum. Darauf lässt sich aufbauen, keine Frage. Natürlich drückt die Zeit, der Rückstand ist gewaltig. Aber wir müssen diesen Weg gemeinsam und genau so gehen, wenn wir auch nur eine minimale Chance auf den Klassenerhalt am Leben halten wollen.  Samstag in Düsseldorf gegen Uerdingens Starensemble wird es für die Adlerträger auch wieder darum gehen, dem Gegner den möglichen Schwung zu rauben und sich selbst vor dem gegnerischen Tor in Abschlusssituationen zu bringen.  

Martin Stadelmann im Februar 2020