(Kein) Sturm im Wasserglas?

(Kein) Sturm im Wasserglas?

31. Januar 2020 2 Von Carsten Schulte

Der SC Preußen Münster wollte ein Tor im Fanblock schließen. Ein kleiner Plan, große Aufregung. Am Ende wurde das Vorhaben wieder begraben. Ist das nun ein Sturm im Wasserglas gewesen? Oder wie soll man das verstehen? Wir arbeiten das noch einmal auf.

Zunächst: Nein, das war kein Sturm im Wasserglas. Der SC Preußen hat eine Entscheidung zurückgenommen, die er schlecht vorbereitet und ebenso schlecht umgesetzt hätte. Die Maßnahme, den Block O von den übrigen Kurvenbereichen abzutrennen, hätte zugleich Folgen für Sitzplatzbesucher der Tribünenblöcke A und B gehabt, die nun auch andere Wege hätten gehen müssen – und denen man de facto den Zugang zu Fanshop und Verpflegungsständen im Eingangsbereich verwehrt hätte. Die von den betroffenen Fans beklagte „Käfighaltung“ wäre sicher so zu nennen – wenngleich sich die Fans schon einmal darauf einstellen sollten, bei einem Stadionumbau ihre bisher bekannte „Beweglichkeit“ aufgeben zu müssen. Aber noch mehr wäre die gesamte Idee, nämlich durch „Vereinzelung“ und räumliche Begrenzung der Fans eine bessere Kontrolle zu ermöglichen, durch die schlichte Reaktion sinnlos geworden. Wie realistisch wäre es gewesen, dass auch nur einer der angesprochenen Fans sich freiwillig dieser Art von Eingrenzung unterzieht? Mutmaßlich wäre der Block einfach weitgehend leer geblieben.

Dazu:
Preußen nimmt Blocktrennung zurück
Münster macht Aufbruchstimmung kaputt

Der Grundgedanke des SCP war und ist natürlich vernünftig: Die Sicherheit möglichst vieler Zuschauer bestmöglich herzustellen. Dazu ist der Klub als Veranstalter verpflichtet. Die Argumentation dazu? Eher diskussionswürdig. Eine Verletzung vor vier Jahren wird in der Stellungnahme des Vereins als Beleg herangezogen, um eine akute Gefahr aus dem Block O zu formulieren.

Ein paar Daten und Fakten:

Ohne das schönreden zu wollen: Die Zahl der Vorfälle im Block ist überschaubar. Gegen Jena qualmte es (nur Rauch) und zuletzt im Dezember gegen Magdeburg (Rauch und Fackeln). In beiden Fällen belegen Fotos, dass der Rauch über den Block hinweg Richtung Hammer Straße abzog, nicht zur Tribüne.

Pyro-Einsatz beim Heimspiel gegen Magdeburg im Dezember 2019. Der Rauch zieht deutlich sichtbar weg von der Tribüne, die sich auf dem Foto rechts vom Fanblock befindet.

Das ist keine Verharmlosung, nur eine Feststellung. Aus dem Gästeblock dagegen zieht Qualm regelmäßig aufs Spielfeld – wer Heimspiele im Stadion besucht, kennt die übliche Windrichtung.

Die beiden „Einsätze“ gegen Jena und Magdeburg waren in der laufenden Saison bisher die einzigen Vorkommnisse; in der Strafentabelle des DFB steht der SCP damit im unteren Mittelfeld. Rund 3.100 Euro wurden fällig – im Vergleich: Rostock und Braunschweig liegen mit 85.000 Euro bzw. 40.000 Euro ganz vorn. Aber dort wurden und werden keine Fanblöcke gesperrt, dabei haben Zuschauer dort viel weniger Möglichkeiten, Rauch auszuweichen als im Stehplatzbereich des Preußenstadions.

Und im Vorjahr, der Saison 2018/2019? Qualm gab es unter anderem im Derby gegen Osnabrück (nichts auf der Tribüne) und im Frühjahr gegen Meppen. Dort wurde eine Feuerwerksbatterie gezündet, wie sie auch zu Silvester verwendet wird. „Unkalkulierbar“ nennt der Klub sie, was dann wohl im Umkehrschluss auch für den „regelgerechten“ Betrieb zum Jahreswechsel gelten müsste. Diesmal zog der Rauch allerdings tatsächlich in Richtung Tribüne hin.

Dagegen widerstanden die Fans im Flutlichtspiel gegen Rostock sogar auf jede Art von Pyro. Kurzum: Die Zahl der Vorfälle im Preußenstadion hat sich im Vergleich zu früheren Jahren erheblich reduziert – auch das darf mal anerkannt werden.

Wird im Preußenstadion nicht eigentlich mehr im Gästeblock gezündelt als im Heimbereich? Dabei ist der Block doch bereits die eng umgrenzte Fläche, die nun auch im Heimbereich geschaffen werden sollte. Im Gästeblock gelingt es dennoch nicht, Pyrotechnik zu unterbinden. Das ist alles uneinheitlich und schwer vermittelbar.

Das Sicherheitskonzept, so heißt es beim SCP jetzt, sehe Block O übrigens nicht als Ultra-Block vor. Es muss sich dabei wohl auch um eine neue Erkenntnis handeln, denn bisher war das nicht bekannt. Es ist auch unlogisch, schließlich standen dort in den vergangenen 30 Jahren eigentlich immer Fangruppen. Zu Zweitliga-Zeiten waren es eher Gästefans, später die Curva Monasteria, seit 2019 wieder die heutige Gruppe.

Was aus der Mitteilung des SC Preußen allerdings hervorgeht, ist eine bisher öffentlich völlig unbekannte Warnung, die der SCP nach eigener Aussage in der vergangenen Sommerpause 2019 in Folge z.B. des Pyroeinsatzes gegen Meppen an die Fanszene ausgesprochen hatte. Die schon im Sommer in Rede stehende Sperrung des Blocks O sei nicht durchgeführt worden, aber verbunden worden mit der klaren Ansage, dass bei einem weiteren Einsatz von Pyrotechnik der Block gesperrt werde. Hintertürchen: „…Einsatz von Pyrotechnik, der geeignet ist, unbeteiligte Zuschauer auf der Tribüne zu gefährden…

Eben so eine Gefährdung sah der SCP offenbar nach dem Magdeburg-Spiel gegeben, weswegen mit mehrwöchiger Verzögerung und nach vorliegenden Informationen bereits vor dem Auftaktspiel in Jena beschlossen wurde, jetzt die Maßnahme der Blocktrennung vorzunehmen.

Der Klub formuliert in seiner Mitteilung die konkrete Befürchtung, dass „die Geschäftsführer der für den Spielbetrieb zuständigen KGaA sowie der von Ihnen (sic!) beauftragte Veranstaltungsleiter“ möglicherweise zivil- und strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könnten.

Ist in Deutschland ein Fall bekannt, in dem nach Verletzungen durch Pyrotechnik während eines Fußballspiels ein Veranstaltungsleiter oder ein Geschäftsführer zivil- oder strafrechtlich verfolgt wurde?
Dabei brennt und raucht es in deutschen Stadion an jedem Wochenende. Nicht nur in der 3. Liga, sondern auch prominent in der Bundesliga. Man frage in Köln nach. Oder beim BVB. Ist das zu erklären?

Aktuell dazu: Am Freitagabend zündeten Schalke-Fans im Berliner Olympiastadion zahlreiche pyrotechnische Gegenstände – in einem vollbesetzten Block. Muss der Veranstaltungsleiter oder Michael Preetz dort nun um seine Freiheit fürchten?

Die Logik wird ohnehin strapaziert. Das angeblich unkontrollierbare Haftungsrisiko war nach Aussage des SCP Anlass für die geplante Maßnahme. Der Klub stellte die Maßnahme als unausweichlich dar, um rechtliche Folgen für handelnde Personen abzuwenden. Nun wurde die Maßnahme trotzdem zurückgenommen. Würde sich der SCP durch diese bewusste Entscheidung, eine Sicherheitsmaßnahme NICHT durchzuführen, nicht erst recht angreifbar machen?

Denn das schrieb der Verein doch selbst: „Der Veranstalter ist dafür verantwortlich, dass es innerhalb des Stadions nicht zu Schäden für Personen kommt, die durch angemessene Entscheidungen und deren Durchsetzung zu verhindern wären.“ Hier hat der SCP also eine „angemessene Entscheidung“ zurückgenommen. Das müsste jetzt doch Klagen Tür und Tor öffnen.

Nein, logisch ist das nicht.

Das eigentlich kritikwürdige Vorgehen des Klubs, nämlich die völlige Nicht-Beteiligung von Personen, die eigentlich genau für solche Themen da sind, spart der SCP in seiner Stellungnahme aus. Weder Fanprojekt noch der Fanbeirat wurden gehört, kein Gremium war in die Entscheidungsfindung einbezogen. Dabei hatte der SCP gerade im Januar noch über das Thema interne und externe Kommunikation gesprochen und eigens dafür den Öffentlichkeitsarbeits-Experten Bernd Homann (Agravis AG) ins Präsidium berufen. Aber auch er wurde nicht einbezogen. Das war im Übrigen der Kernvorwurf, der dem Klub in dieser ganzen Sache gemacht wurde.

Wie auch immer. Jetzt steht eine öffentlich nachlesbare Warnung im Raum, „…das Abrennen von Pyrotechnik im Block O zu unterlassen. Andernfalls wird der SC Preußen Münster das Sicherheitskonzept endgültig durchsetzen und den Block O nicht mehr für die aktive Fanszene freigeben.“ Welche Alternativen der Klub dann für seine Fanszene plant, wird nicht ausgeführt.

Verantwortung der Fans

Zur Medaille gehört aber auch diese Kritik. Die sogenannte aktive Fanszene zieht sich gerne durch schlichtes Handeln aus der Verantwortung. Im Wissen um das Verbot von Pyrotechnik wird trotzdem Pyrotechnik eingesetzt. Im Schreiben der Fanszene über die SCP-Maßnahme wird die eigene Verantwortung mit keiner Silbe erwähnt. Es gilt das alte Ultra-Selbstverständnis: Pyro ist Teil der Fankultur und wir beugen uns niemandem.

Auch von den bestehenden Warnungen an die Kurve war im Schreiben der Szene keine Rede.

Mit Blick auf die Polizei-Vergangenheit des Veranstaltungsleiters wird jedes Gespräch abgeblockt, an öffentlicher Auseinandersetzung besteht keinerlei Interesse und keine Bereitschaft.

Dagegen ist die Klage über fehlende Kommunikation des Klubs stets schnell formuliert. Das Argument scheint aber eine Einbahnstraße zu sein. Wenn es den Verein betrifft, gilt es. Andersherum nicht.

Nun geht es beim Fußball und in Ultra-Gruppierungen natürlich immer auch um so etwas wie Ungehorsam und Abgrenzung. Die Szene braucht die klaren Feindbilder, um ihre eigene Rolle zu definieren. Wir gegen die. Polizisten sind Bullenschweine und Cops, die in der Kurve nichts zu suchen haben. Klubverantwortliche sind rückgratlose Marionetten des Polizeistaats – in etwa so muss man sich das vorstellen. In Münster spielt zudem vieles aus der Vergangenheit hinein, da werden häufig auch alte Scherben herausgekramt und neu ausgelegt.

Fußballklubs und Verantwortliche müssen zur Kenntnis nehmen, dass diese Überzeugungen und Haltungen sich nicht durch Regeln oder Logik beseitigen lassen – diese Abgrenzungen sind Teil der Fankultur und auch des Erwachsenwerdens selbst. Man kann versuchen, das bestmögliche herauszuholen, aber ein gewisser Grad an Widerstand, an Regelbruch ist einfach nicht zu verhindern. Auch deswegen hat die endlose Debatte um Pyrotechnik immer etwas Tragisches. Reden über Unlösbares ist wie Reden gegen eine Wand. Ein bisschen was geht durch, das meiste prallt ab.

Dass die aktuelle Situation so kurz vor dem so wichtigen Heimspiel gegen Duisburg bei den Verantwortlichen fundamental falsch eingeschätzt wurde und das Vorgehen unklug war – das wird durch die Reaktion des Klubs auch ohne Worte deutlich. Da wurde einfach eine unausgereifte Maßnahme zurückgenommen, Wogen sollen geglättet werden. Das zeigt, dass auch innerhalb des Klubs eine gewisse Verstimmung über das Vorgehen herrscht.

Aber jetzt muss es auch konstruktiv werden. Die Fanszene sollte sich der Mannschaft zuliebe aufraffen, der Klub sollte sich am kommenden Mittwoch in Ruhe erklären – und dann muss die Konzentration dem Klassenerhalt gelten. Denn das ist hoffentlich allen klar: Die Bühne gegen Kaiserslautern, Rostock, Magdeburg oder 1860 ist attraktiver als die gegen Bergisch-Gladbach, Lippstadt oder endlose Zweitvertretungen in der Regionalliga.